Gerhard Böhm
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  Kontraste liebt er ...

Vorwort "Kontraste liebt er ..."
von Dr. Hans Neubauer
aus dem Buch
"Gerhard Böhm, Bilder Zeichnungen, Grafik, Objekte".
Es wäre vermutlich leicht, aus Gerhard Böhms Kindheit Berichte zu erhalten, die das erste Aufblitzen seiner malerischen Begabung bestätigen würden. Gewiß fiel es in der sechsköpfigen Familie auf und ganz sicher dem pädagogisch geschärften Auge des Vaters, daß in dem Crailsheimer Buben ein zeichnerisches und malerisches Talent rumort. Aber besonders interessant wären solche Berichte auch wieder nicht, denn das ereignete sich vermutlich in der Jugend aller bildenden Künstler, und nahezu alle Kinder verfügen über verblüffende gestalterische Sicherheit mit Stift und Pinsel, bis ihnen das von der Schule und anderen einschüchternden Einflüssen ausgetrieben wird.
Eine ungewöhnliche Schulerfahrung machte der Schwäbisch-Haller Gymnasiast Gerhard Böhm allerdings mit seinem Deutschlehrer in der Oberstufe. Dieser gestattete ihm, das gestellte Thema nicht mit dem üblichen Schulaufsatz, sondern durch eine Zeichnung zu behandeln. Der Ausnahmegermanist war der spätere Tübinger Literaturprofessor Gerhard Storz, der sogar zum Kultusminister für Baden-Württemberg avancierte. Nach dem Abitur gab es keine Zweifel über den weiteren Weg Gerhard Böhms. Er ging an die Kunstakademie in Stuttgart, obwohl das damals noch viel seltener vorkam und deshalb verwegen erschien, wenn ein Sohn aus bürgerlicher Familie allen Ernstes Künstler werden wollte.
Er fand an der Akademie einsatzfreudige Lehrer, besonders drei Professoren. Zunächst die Grundlehre, die Schule des Sehens und Gestaltens bei Gerhard Gollwitzer, von dem alle ehemaligen Schüler versichern, wie viel sie bei ihm lernten und ihm verdanken. Dann die Grafik-Klasse des handwerklich souveränen Karl Rössing, der selbst ein hochangesehener Künstler speziell in den Techniken des Holzschnitts und des Linolschnitts war. Auffallend viele Rössingschüler sind bekannt geworden. Dazu gehören Friedrich Meckseper, Malte Sartorius, Walter Rabe und Gerhard Böhm. Große Bedeutung gewann für ihn aber auch die Arbeit als Gast bei Willy Baumeister, dem prominenten Vertreter der abstrakten Kunst, dessen Bilder in Museen hängen und im Handel längst in die oberen Preisgruppen aufgestiegen sind.

Nach diesem Stuttgarter Höhenflug sah sich der nunmehr akademisch gebildete und staatlich geprüfte junge Maler und Grafiker plötzlich als Kunsterzieher an der Staatlichen Korbfachschule in Lichtenfels in eine ganz andere, nunmehr kleinstädtische Welt versetzt. Von Anfang an fand er die richtige Lösung zur Vermeidung des Künstlerfrusts: Sorgfältige Erfüllung der Lehraufgaben, daneben aber eigenschöpferische Arbeit. Er malte, porträtierte, schnitt Linolplatten und experimentierte mit Druckverfahren.
In dieser Zeit kam noch die Begegnung mit einem weiteren großen Anreger durch Sonderkurse an der Kunstakademie in München zustande, die für Böhms Entwicklung sehr wichtig war. Der ehemalige Bauhausprofessor Johannes Itten, der inzwischen über Amerika ein Mann von Weltruhm geworden war, erweiterte entscheidend die Einsicht und Erfahrung im Umgang mit der Farbe. So wurde Lichtenfels doch nicht zum Ort der Verbannung vom aufregenden großstädtischen Kunstleben. Wo gearbeitet werden kann lebt die Kunst.

Gerhard Böhm brachte Reiseskizzen vor allem aus Italien und Frankreich mit. Sie hielten weniger die atmosphärische Stimmung der jeweiligen Ziele fest, vielmehr entdeckte er dort die Möglichkeit, Farbwerte so zu setzten, daß eine fesselnde Bildkomposition entstand, die man sozusagen auch abstrakt lesen konnte. Trotzdem hatte er damit beachtlichen Erfolg. Das war in der Zeit, als man in der Gesellschaft noch unweigerlich mit Diaserien von Urlaubseindrücken überfallen wurde, die bis zur gähnenden Langeweile höflich hingenommen werden mußten. Da fiel sicher manchem Reisenden auf, wie viel aussagekräftiger die individuelle Sicht des Malers unter Verabschiedung naturalistischer Problemstellungen sein kann. Trotzdem war der Erfolg Gerhard Böhm wahrscheinlich suspekt.
Er schlug einen anderen Weg ein und begann eine umfangreiche Serie von Linolschnitten, zunächst lange Zeit in Schwarz-Weiß. Diese Arbeiten irritierten viele Betrachter. Es waren wirr erscheinende Felder von geraden Linien und dynamisch geschnittenen Kurven, die Inhalte spüren ließen. Bald tauchten in der scheinbaren Wirrnis der Komposition schattenhaft Figurengruppen auf. Diese stets wie in Bewegung wirkenden Silhouetten, diese manchen Betrachter an Platons Höhlenmenschen erinnernden Erscheinungen, wurden für Böhm charakteristisch. Sie treten bis heute immer wieder in seinen Grafiken und Gemälden auf.
Aber zunächst war er für die folgenden Jahrzehnte als Kunsterzieher tätig und zwar ab 1971 bis 1993 als Professor für Industrial Design Textil and der Abteilung Münchberg der Fachhochschule Coburg. Da mir hierzu jede persönliche Beurteilungsmöglichkeit fehlt, sei es gestattet, ausführlich aus dem zur Verabschiedung entstandenen Text von Dekan Professor Arnulf Bührle zu zitieren, der die Überschrift trug: "Eine Ära geht zu Ende":
"Durch seinen Einsatz wurde Münchberg, insbesondere nach der Übernahme in die Fachhochschulebene, 1971 zu einer der wichtigsten Ausbildungsstätten für Textildesigner in der Bundesrepublik, von denen es mehr als ein Dutzend gibt. Immer wieder gab es wichtige Impulse für diese Ausbildung, u.a. über seine Mitarbeit im bundesweit organisierten Arbeitskreis "Mode- und Textildesigndozenten", den er mit begründete und als Vorsitzender lange Jahre führte, und über seine verschiedenen berufspädagogischen Schriften, Fachvorträge und -artikel. Prof. Böhm war stets der Garant einer Designerausbildung, die entschieden auf das textile Produkt hinzielt, andererseits die gestalterischen Grundlagen und das Training kreativer Fähigkeiten in den Mittelpunkt stellt und als unverzichtbare Voraussetzung für jedwede Designtätigkeit versteht. Er war kein Mann des unsteten Zeitgeistes. Seine Position orientierte sich an der Moderne, die er seiner pädagogischen Arbeit nutzbar machte ohne sie zum Dogma zu erheben. "Fachspezifische Ausbildung braucht", so Böhm, "Stetigkeit um zu überzeugen und sie sollte Bewährtes bewahren. Andererseits muß das stark durch Veränderungen bestimmte Berufsfeld anhaltend reflektiert und dort eingetretene Wandlungen in die Lehrinhalte integriert werden".
Neben vielen anderen externen Aktivitäten fielen in seine Amtszeit z.B. die beiden programatischen Ausstellungen von Studienarbeiten im Palazzo Grassi in Venedig und im Foyer der Freiheitshalle in Hof, sowie die Verleihung des Bundespreises "Gute Form" in Berlin für eine Projektarbeit und der Gewinn des 1. Preises der internationalen Farb-Info für eine Diplomarbeit."

In seiner Abschiedsrede, aus der hier zitiert wurde, betont der Hochschuldekan schließlich, Böhm sei ja auch als Künstler kein Unbekannter, diesem Teil seiner Lebensarbeit werde er sich nun verstärkt widmen können. Das tut er wirklich und es war kein völliger Neubeginn nötig, denn Gerhard Böhm brachte es nie fertig, als Professor im beamtenhaften Gefühl der Sicherheit von dem stets unsicheren Weg des Künstlertums ängstlich Abstand zu halten. Er stellte auch in seinen Lehrerjahren immer wieder solo oder im Verein mit anderen neue Arbeiten aus.

Auffallend ist seine Neigung zu zyklischer Gestaltung, die auch in dieser Publikation zum Ausdruck kommt. So beschäftigte ihn jahrelang das Thema "Weiß-Rot-Signale". Die hart nebeneinandergestellten beiden Farben, deren Signalwirkung ja auch bei Verkehrszeichen verwendet wird, beherrschen viele seiner Zeichnungen, Bilder und Objekte. Oft erscheinen sie als langezogene Bänder in geraden Linien oder in verschlungenen Kurven. Wir kennen alle jene weiß-rot-markierten Schutzstreifen vor Baustellen oder ausgehobenen Gruben im Verkehrsbereich. Sie warnen uns, versperren uns den Weg - bedrohlich oder behütend?

Eindeutige, lehrhafte Aussagen lassen sich aus Böhms Bildern nicht herauslesen. Nicht einmal aus den Zeichnungen, die sehr realistische Inhalte bieten und unter dem schönen, vorzüglich zum Versprecher geeigneten Titel "Tageszeichnungen" zusammengefaßt sind.
Da spiegelt sich die laute, aufdringliche Gegenwart wieder, die uns, wenn nicht in Natur, dann im Fernsehen täglich gnadenlos überfällt und in der es doch bei genauerem Hinsehen auch Schönheiten zwischen Brutalität und genormtem menschlichem Vehalten zu entdecken gibt. In diesen Blättern ist kein Umriß unentschlossen gestrichelt. Die genaue, klare Begrenzung bestimmt die Erscheinungen, so wie es etwa Olaf Gulbransson gelang, seine Figuren mit der einfachsten Linie hinzustellen.Ohne Gegensätze gibt es kein Weiterkommen, war der Kernsatz von William Blake (1757-1827), dem großen englischen Dichter, der auch als Maler Bedeutendes geleistet hat. "Without Contraries is no progression". Eine enge stilistische Festlegung, eine Einordnung in die Schubladen "abstrakt" oder "realistisch", läßt sich bei Gerhard Böhm nicht vornehmen, trotz der spürbaren Logik seiner künstlerischen Entwicklung. Kontraste liebt er aber auch in der Entscheidung über das Format. Neben kleinformatigen Zeichnungen mit ihren speziellen Tagesthemenkreisen "DIALOG" und "Tageszeichnungen" entstanden anspruchsvoll große Gemälde und Böhm verblüffte die Betrachter darüber hinaus noch durch fast irritierend unbekannte technische Arbeitsspuren in seinen Großformaten. Deutlich wird dies in einer von Sabine Schütz geschriebenen Kritik über eine Ausstellung in Bayreuth 1987:
"Die Prunkstücke sind zwei in einer von Böhm selbst entwickelten Technik gemalten Mikrolithbilder mit den Titeln "Manhattan monochrom" und "Landschaft polychrom". Den beiden Monumentalgemälden ist ein weiteres zugeordnet, das den Titel "Wiese Welt" trägt. Dieses Mikrolithbild hängt im Bayreuther Rathaus. Bei der Mikrolithtechnik wird die Leinwand zuerst mit Microlithfarben untermalt, die Formung des Inhaltes erfolgt durch Bearbeitung mit Aceton. Diese Methode ermöglicht, wie der Maler erklärt, besonders feine, weiche Übergänge. Wert legt Gerhard Böhm jedoch auf die Feststellung, daß die Maltechnik nicht als Selbstzweck zu verstehen ist, sondern dazu dient, den beabsichtigten Ausdruck des Bildes zu erreichen".
Wiederholt sind in diesen großen Bildern amerikanische Eindrücke zu entdecken, New Yorks Straßenschluchten, endlos ansteigende Fassaden, die jedoch wieder zurückgenommen sind, unwirklich, vielleicht albtraumhaft wirkend. Und schon wieder der Gegensatz: Böhm sieht in der modernen technischen Welt die totale Bedrohung des Lebens, aber doch nicht nur sie. Energien, sogar Vitalität sind spürbar, könnten eine Chance sein über allem Zivilisationsschutt. Die "Wiese Welt". Natur und Technik. Wir erhalten keine einfachen, plakativen Antworten, eher Fragen. Gaugin nannte sein großes Gemälde 1897, das heute in Boston hängt, "Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?"
Gerhard Böhm ist aber keiner der bildproduzierenden Philosophen unserer Zeit (die ja meistens ziemlich kraftlose Ergebnisse vorlegen). Er ist der geborene Maler. Auch seine großen Bilder enthalten manchmal Stilbrüche in sich. (Ich sage keinesfalls im Ernst, sie seinen "postmodern"). Wir sehen neben flächigen und raumaufreißenden Fragmenten von abstraktem Charakter auch wuchernde, schilfgrasähnliche Formen und fast fotografischgenau gemalte Wolken. Von "Impressionismus" wurde bei diesen Bildern gesprochen, nicht zu unrecht, wenn man dabei den Begriff nicht mit jener so bezeichneten großen Epoche der Kunstgeschichte identifiziert, sondern den Wortsinn meint. Da schwelgt Böhm nicht nur in seiner Kunst der farblichen Kontraste, plötzlich wird ein Gemälde ganz von den Nuancen der Blautöne regiert. Und wieder erscheint schattenhaft der Mensch. Besonders häufig als Läufer durch die Landschaft, durch das Gewirr der Welt. Ist er gehetzt, vom Leistungsdruck gejagt, oder macht er sich selbst "fit" als Jogger in fröhlicher Freiheit? Die Antwort bleibt wohl den sensiblen Betrachter überlassen. So war das schon immer bei der Deutung wesentlicher Kunstwerke. Und wichtiger ist es gewiß, zunächst mit den Augen in diesen alles andere als formal schlichten Kompositionen samt ihren fartblichen Abenteuern spazieren zu gehen.


Hans Neubauer
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